In der Nacht nehme ich mindestens einen Radfahrer wahr, der noch auf der Piste vorbeiradelt, ich nehme an, dass es Pavel ist (was sich im Nachhinein bei genauer Betrachtung der Rennverlaufskarte als korrekt herausstellt, er schläft nur ein kurzes Stück nach mir). Ich wache wieder vor dem Wecker auf, so gegen 3 Uhr und mache mich grad ans Packen. Erst fluche ich, weil die Nacht doch recht feucht geworden ist und mein Schlafsack entsprechend klamm, dann fällt mir der Sand ein und ich frohlocke, denn je feuchter der Sand, desto tragfähiger. Zusammengepackt ist schnell und im nächsten Ort geht es dann schneller als gedacht, der Sand fängt an. Wieder bin ich happy, denn ich habe eine Strategie, Dina hatte gleich gemeint, bei Sand muss Luft herausgelassen werden. Das hatten wir in Jordanien bereits erfolgreich in den Sandabschnitten vor und nach dem Wadi Rum praktiziert.
Also abgestiegen und die Luft brutal rausgelassen, der Reifen muss ungesund aussehen, also deutlich unter dem angegebenen Minimaldruck sein, damit die Auflagefläche auch entsprechend gross wird. Keine 5 Minuten später bin ich schon wieder auf dem Rad und kriege Adrenalinschübe, it works! Ich kann im Sand fahren, teilweise fliege ich dahin, manchmal bremst es aber auch ganz schön, ich muss aber fast nie absteigen. Das ist eine riesige Motivation, denn hier mache ich wohl gegenüber den meisten Anderen Zeit gut. Ich sehe im Sand einige Spuren, die nach Schieben aussehen. Ja, bei dem starken Mond ist es wieder prima zu fahren und die Stirnlampe unnötig. Es gibt nicht immer eine gute Strasse, bzw. teilweise habe ich den Eindruck, dass es ausserhalb im Gelände einfacher geht. Und so geht der Sandabschnitt relativ schnell vorüber (gemäss Trackerdaten ca. 45 Minuten für die 15 km). Gegen Ende wird es wieder buschiger und die Piste liegt zwischen Hecken. Kurz bevor ich auf Asfalt komme, merke ich, dass der Vorderreifen schwammiger wird, Mist, ein Platten. Erst versuche ich es einige Zeit mit Pumpen, aber im Gegensatz zur Colonial Road wird der Reifen leider nicht dicht. Also Rad ausgebaut und ein Schlauch reingezogen. Vorher natürlich noch nach Dornen geschaut, und siehe da, es hat doch einige in den Reifen reingezogen. Die müssen zum Teil mit der Zange entfernt werden. Dann wieder gepumpt und weiter. Ich komme keinen Kilometer weit, der Schlauch hält die Luft nicht, also neuen Schlauch aufgezogen, ordentlich geflucht und meinen ganzen Sandvorteil eingebüsst, das hat mich fast eine Stunde gekostet. Immerhin bin ich fast wieder auf Teer und es hat mich erstaunlicherweise niemand eingeholt (ich im Sand auch niemanden). Nun geht es im Dunklen weiter durch eher uninteressante Ortschaften, bis ich auf eine grössere Strasse komme, wo ich die Müdigkeit spüre und auf einem Kilometerstein noch einmal wegnicke. Nur hoffe ich, dass mich niemand überholt. In Amskroud nutze ich nicht die 24h-Tanke, sondern fahre gerade die Strasse in die Berge. Langsam dämmert es schon über der Ebene, aber Licht ist noch angesagt, wir sind ja auf einer Strasse. Auf dieser ist allerdings absolut kein Verkehr. Nur nach einer Weile sehe ich ein Licht von hinten kommen, ich vermute Pavel. Ein bisschen erhöhe ich also den Takt und komme auf der Teerstrasse ins Nirgendwo gut voran. Es ist tatsächlich nicht auszumachen, weshalb die Teerstrasse hier ist, keine wesentlichen Ortschaften auf der Karte auszumachen und die Route wird wieder runter in ein Tal gehen und von dort einige Abfahrten und Anstiege machen. Oben hört entsprechend auch der Teer auf und man erkennt, dass es vor kurzem geregnet haben muss, die Spuren von den Vorderen haben sich gut eingedrückt. Die Piste geht nun wieder runter und ich beeile mich, um etwas Abstand zu bekommen. Je tiefer es geht, desto steiniger wird die Piste und sieht am Schluss nur noch wenig befahren aus. Am Gegenhang geht es steil nach oben, nach zwei, drei Kehren stelle ich fest, dass es meinen Hinterreifen erwischt hat, vielleicht bei der Abfahrt. Er verliert Luft, also Pumpe ich erst einmal. Leider ist es ein Loch in der Reifenflanke, die ja besonders schlecht zu dichten sein sollen. Während ich Pumpe werde ich überholt, doch nicht Pavel. Ich hole ihn wenig später ein, es ist Sam aus den Niederlanden. Wir haben ähnliche Geschwindigkeit, so dass wir uns hier gut unterhalten können. Nur bei den Abfahrten lässt er es krachen, und liegt wenig später vor mir auf der Piste. Ich schimpfe ihn erst mal, dass er noch nicht mal Handschuhe angezogen hat (die sind nur auf die Triathlonaufsätze aufgesteckt), aber er hat Glück und keinen Kratzer abbekommen. Wir fahren zusammen bis zur Teerstrasse und bis zu den ersten Strassencafés, wo es erst einmal eine ordentliche Portion gibt und einen Avocadoshake. Ich fahre vor ihm weg, auf den von anderen Fahrern, oder vom Veranstalter, so genannten Stelvio von Marokko.
Es ist einfach noch ein Pass mit einigen Spitzkehren. Vorher passiert man weitere Cafés und einige Touristen, das Tal ist eine beliebte Sommerfrische. Die Stelviostrasse ist dann einsam und teilweise liegt auch etwas Schutt auf dem Asfalt. Auf den letzten Kehren sehe ich, wie Sam sehr weit unten pedaliert. Nach dem Pass muss ich mich noch einmal um den Reifen kümmern, er verliert weiter Luft. Ich hatte immer mal wieder zwischendurch gepumpt, aber jetzt versuche ich es mit einer Maxsalami, und zwar mit meinem fettesten Kaliber. Das verschwindet gut im Loch und scheint zu stopfen. Das Problem ist jetzt der Rahmen. Die aus dem Reifen herausstehenden Enden der Salami touchieren immer meine Rahmenstrebe und ich fürchte, dass damit das Loch weiter Luft verlieren kann. Im Verlauf vom Tage bekomme ich die Enden aber immer weiter gestutzt, bis sie nicht mehr schleifen (das Schleifen war eher ein Klopfen, so fest haute die Salami gegen die Strebe). Immer noch nicht eingeholt. Nun kommt noch einmal eine geniale Abfahrt, kurz auf Teer und dann auf Schotter. Ich lasse es brettern, was einen Heidenspass macht. Danach kommt dann noch einiges an Strecke und ich bekomme langsam Respekt vor dem nahenden Abend. Mit nur gut zwei Stunden Schlaf befürchte ich, dass es noch einmal mühsam werden könnte.
Aber zunächst müssen allerlei Gegensteigungen und Abzweigungen hinter mich gebracht werden. Am Schluss geht es einen Stausee entlang, über dessen Mauer es geht. Nun ist es nicht mehr weit bis Imsouane, 25 km und das auf Teer. Es wartet nur noch der Hügel vor dem Ort, von dem es dann bis ans Meer runter geht. Die Strasse ist zwar in Bau, aber ich kann trotzdem Highspeed düsen. In Imsouane geht es erst einmal vom Track runter, der am Ortsrand gleich wieder Richtung Ziel abdreht. Es ist jetzt gegen 19.00 und ich will noch etwas essen. Unten im Ort findet sich ein Cafe, das auch Tacos macht, einen esse ich vor Ort und einen nehme ich wieder mit, zudem ein paar Snickers (gegen Ende des Rennens werden die Snickers dann ausgegangen sein). Es ist wunderschön hier am Meer und auch eine sehr relaxte Stimmung. Die ganze Surfclientel ist da und mit ihr die Clichés, alte VW-Büssli etc. Frisch gestärkt mache ich mich auf. Ich möchte noch möglichst viel vom Restlicht nutzen, bis Essaouira gibt es zudem noch einmal Pistenstücke, der Schluss sollte dann wieder Asfalt sein. Ein Blick auf die Uhr, es sind noch fast 90 km. Im Idealfall schaffe ich es noch vor Mitternacht. Nun geht es erst einmal leicht bergauf, die Sonne senkt sich ins Meer und es ist eine fantastische Stimmung, ein super Abschluss.
Es geht durch ein paar Orte und dann hört auch einmal der Asfalt auf, aber der Weg ist noch super fahrbar. Zwischendrinn hat es mal eine Stelle, an der die Piste blockiert ist, aber eine Umfahrung ist schnell gefunden. Dann geht es noch einmal runter zum Strand, es ist jetzt schon dunkel und ich fahre mit meiner einfachen Funzel und der Stirnlampe, um das GPS abzulesen. Es ist noch viel los im Dorf, Mopeds sind überall zu hören. Nun kommt noch ein letzter langer Schlussanstieg. Mein Adrenalin geht hoch, ich sehe ein Licht, das ich mit einem Radfahrer verbinde. Ach was, so viele Mopeds wie es hier hat, da gibt es viele Lichter. Ich kann aber meine Kräfte gut mobilisieren und der Anstieg bereitet keine Probleme. Es geht jetzt in dichteren Wald rein und ich muss gut navigieren. Langsam flacht es auch aus und ich halte die Geschwindigkeit hoch, insbesondere bergab natürlich. Das zieht sich dann nochmal und es ist stockduster, da der Mond noch nicht draussen ist. Ich bin heilfroh, als ich nach einer guten Weile wieder auf Teer bin, jetzt rollen lassen. Es ist jetzt 22:15 und ich habe noch 35 km, das sollte doch zu schaffen sein. Allerdings hilft kein Rückenwind und auch sanfte Steigungen werden mühsam. Als es dann kurz vor Essaouira noch einmal von der Strasse auf irgendeinen Feldweg und Pfad geht, zweifle ich, ob ich es vor Mitternacht schaffe (25 Minuten und noch 7 km), aber trete ordentlich in die Pedale. Ich hatte ganz vergessen, dass es wohl nicht auf Asfalt zu Ende gehen würde. Etwas erleichtert gelange ich wieder auf Asfalt und fahre die letzten Kreisel aus. Endlich taucht das Hotel auf und ich schaffe es tatsächlich noch vor Mitternacht. 23:57 ist die Zeit, an der mein Tracker im Ziel registriert (er nimmt alle 10 Minuten einen Punkt). Nelson ist noch auf und ich bekomme meinen letzten Stempel, nur wenige andere Fahrer sitzen noch da und machen sich bald ins Bett. Ich bin als 13. ins Ziel gekommen, deutlich besser, als ich bei dem grossen Feld und den starken Fahrern erwartet hatte. Gegenüber dem letzten Checkpoint habe ich also noch einmal ein paar Plätze gutgemacht, das lag z.B. auch an der Aufgabe von Mattia de Marchi, der zwischenzeitlich geführt hatte, aber letztlich mit Atemproblemen aufgeben musste.
Mit Nelson unterhalte ich mich noch etwas, vor allem über Kirgistan, so kriege ich noch einige Expertentips (er lebt in Kirgistan).
Nun muss nur noch ein Zimmer für die Nacht organisiert werden. Ich habe nicht mehr den Nerv noch eine günstige Bleibe zu organisieren und nehme ein Zimmer im teuren Hotel. Allerdings ist das erste Zimmer dann noch gar nicht gemacht (Bett nicht frisch bezogen, Handtücher am Boden), so dass ich mich beim Manager beschweren muss. Bevor ich schlafen kann, muss ich noch ein paar Kleider auswaschen, ich bin ohne Zusatzgepäck unterwegs, nur das Race-T-Shirt habe ich noch hier, in der Tasche von Thomas.