Sonntag, 13. August 2023

AMR 2023 - Der längste Tag, oder war es der zweitlängste?

 Lange Tage hat man hier immer und jeder Tag ist auf seine Art der Längste. Fast hätte ich gestern einen neuen persönlichen Kilometerrekord aufgestellt, ich bin nämlich noch nie über 300 km gefahren. Allerdings hatte ich es auch noch nie darauf angelegt, sonst hätte ich mir eine einfache Strecke gesucht.

In der Nacht hört man immer mal wieder einen Fahrradfahrer vorbeifahren, schon ein etwas komisches Gefühlt, das hatte ich am Hope nur einmal, als ich am Sempacher See übernachtet habe, hier kommt ständig jemand vorbei, man liegt hier noch stärker auf dem Präsentierteller. Auch ich darf heute früh noch an ein paar Teilnehmern vorbeifahren, insbesondere auch an jemandem, der sich schön in so ein kleines Wadi gelegt hatte. Sonst geht es erst einmal leicht ansteigend, dann flach zum eigentlichen Passanstieg. Der ist knackig, aber bis auf wenige Meter eigentlich fahrbar, ich hoffe ich habe es da nicht übertrieben. Bei so einer langen Strecke sollte man lieber konservativ mehr Schieben, als seine Beine durch eine kurze steile Steigung leer zu pumpen. Es folgt flacheres Terrain und nicht mehr so eine grosse Steigung, aber bis die grosse Abfahrt kommt, zieht es sich noch. Und das ist gut, es ist ja noch nicht hell und dieser Abschnitt soll ja recht grandios sein. Beim Sonnenaufgang bin ich aber schon in der Abfahrt, brause an einem schlafenden Teilnehmer vorbei (Todsünde: bei den kurzen Tagen sollte man keine Stunde Tageslicht verschlafen). Auch das Tal raus zur Teerstrasse von Afra ist gut zu fahren und in Afra muss nur wenige hundert Meter abgewichen werden um zum Laden zu kommen, wo schon eine Crew Italiener frühstückt. Auch ich nehme mir noch einen Trinkjogurt und ein anderer Teilnehmer schliesst sich meiner Wahl an, als er sieht, was es ist. Und schon sind die Jogurts (Raib) ausverkauft. Der Ladenbesitzer ist wohl begeistert vom Andrang und spendiert eine Runde Tee, die sehr willkommen ist. Auch zwei Mandarinen darf ich einfach so mitnehmen. Mittlerweile sind wir 10 Teilnehmer am Laden und ich mache mich auf für die weitere Strecke, am Ortsausgang steht wieder ein Race-Car. Es wartet wieder Piste. Aber auch hier eine von der gutmütigen Sorte, ich komme gut vorwärts, nur der Ausstieg geht etwas exotischer über kleine bis keine Pfade durch ein Wadi. In Afela n’Dra gibt es wieder Asfalt und ich hänge mich an einen anderen Teilnehmer (wohl Josh Reid), den ich im folgenden Wadi aber aus irgendeinem Grund wieder ziehen lasse (wahrscheinlich Schalthebelfeststellen). Wir sind schon kurz vor dem Wasserfall von Tizgui, zu dem ein Töffpfad führt. An der Hütte von Omar ist auch schon David und andere Fahrer, der Wasserfall lässt sich nicht sehen. Als ich Omar darauf anspreche, meint er, dass es seit 3 Jahren nicht geregnet hatte. Auf Tee verzichte ich, visiere lieber die Cafes von Ait Saoun als Mittagsrast an.








Von Omar aus müssen nur ein paar Treppenstufen erklommen werden um auf die Teerstrasse zu kommen, die zur Hauptstrasse führt. Allerdings ein sehr steiler Anstieg per Teer, den hier gerade ein halbes Dutzend Teilnehmer unter die Räder nehmen. Eigentlich wäre jetzt gleich ein wohl ziemlich anspruchsvoller Singletrail gefolgt, im Satellitenbild hatte ich da keinen Weg ausmachen können, aber Nelson hat die Route 2 Tage vor Start noch einmal geändert, nachdem ein Radfahrer seinen Track abgeradelt ist und meinte, dass es hier Bauarbeiten oder Erdrutsche gab und er den Einstieg nicht finden konnte. Da Nelson die Situation vor Ort nicht mehr abchecken konnte, wurde die Route auf Teer verlegt, wie in den Jahren davor auch. Es ist tatsächlich so, dass einige Radfahrer Nelsons AMR-Track ganz normal als Urlaubsreise abfahren. Hier wäre es sicher nicht schlecht eine leicht entschärfte Variante auszuarbeiten, bei der wenig befahrene Trails durch besser befahrene Pisten ersetzt werden.

Auch auf der Hauptstrasse steigt es weiter zu einem Pass. Hier kann ich ein paar Kilometer mit Samuel aus UK radeln. Er hatte das AMR schon einmal gemacht, ich glaube, nicht ganz zu Ende, und fand den Hauptstrassenabschnitt damals schon ätzend, wohl deshalb hatte Nelson auch nach einer Alternative gesucht. Die Unterhaltung tut gut, vor dem Pass macht aber jeder von uns noch individuell Rast und so kommen wir getrennt im Cafe an, welches auch schon gut besucht ist. Ein deutscher Teilnehmer überlässt mir sein halbes Omlette (er hatte zwei bestellt) und ich bestelle mir noch ein Eigenes. Obligate Kettenpflege, ein zweiter Deutscher, Gabriel aus München ist gerade mit seinem Reifen beschäftigt, er hatte anscheinend seine Tubelesseigenschaft verloren und musste einen Schlauch einziehen und versucht jetzt wieder auf Tubeless zu kommen. Als ich fertig mit Omlette bin trudeln noch einige Teilnehmer ein (im Nachhinein sehe ich, dass es z.B. Molly und Josh waren), aber ich schwinge mich auf das Rad. Es hätte eigentlich noch mehr Cafes im Ort, aber natürlich hält jeder beim ersten (einfachen) Cafe. Am Abzweig auf die Piste steht wieder ein Polizeiauto. Vom Timing her bin ich gut unterwegs, so dass ich in der Nacht wohl die Teerstrasse hinter Taznakht angehen kann. Das war mir beim Planen schon aufgefallen, dass das besser in die Nacht fallen sollte (einfach und wohl unspektakulär). Aber erst einmal muss ein längerer Pistenabschnitt überwunden werden, ein paar kleinere Abzweige, die man leicht übersieht, muss man nehmen. Die vielen Spuren des vorderen Teilnehmerfeldes erleichtern die Suche, wobei die auch manchmal erst falsch fahren. Es ist eher flach und rollt gut, dabei hole ich noch Damir aus Russland ein. Wir kommen schnell auf Russisch ins Gespräch. Es scheint nicht sein erstes Rennen zu sein, auch am Silkroad war er im letzten Jahr. Er lebt nicht mehr in Russland, sondern ist nach Georgien gezogen, natürlich im letzten Jahr. Als Programmierer geht das wohl einigermassen gut. An einem Anstieg ziehe ich davon und bald taucht auch der nächste Radler auf. Vorher gibt es aber noch die erste Mandelblüte zu bestaunen. Bislang haben wir die in Marokko nie gesehen, im Dezember blüht noch nicht viel. Es hat Landwirtschaft und zwischendurch auch mal ein kleines Dorf. Der Fahrer vor mir fährt ordentlich Tempo, dennoch ziehe ich vorbei, im Nachhinein erschliesse ich mir, dass es Ingo war. Irgendwo hier auf dem Weg ist dann auch mal das Photographenauto, also schnell Brille abgenommen und Capnummer hochgeklappt.





@ospreyimagery

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Das Pistenstück hat dann auch einmal ein Ende und es geht noch ein gutes Stück auf Teer nach Taznakht, ein ganz wichtiger Zwischenstopp, zumindest laut Karte und Roadbook. Es ist neben Tafraoute wohl der grösste Ort auf der Strecke, den wir passieren und sollte entsprechend gute Versorgung bieten. Ich freue mich schon auf ein Restaurant. Da es schon auf Abend zugeht, habe ich auch keinen Stress, ich werde den Ort wohl sowieso im Dunklen verlassen. Im Ortszentrum stehen auch schon einzelne Bikes (u.a. von Pavel) angelehnt vor Restaurants. Ich wähle das erstbeste Restaurant und eine Tajine, welche schon auf Kohle brutzeln. Das erste Mal seit Marrakesch schaue ich ins Handy, ob ich irgendwie falsch gefahren bin und ein SMS oder Whatsapp von der Rennleitung habe und einen kurzen Anruf nach Hause gibt es auch noch. Während ich esse, setzt sich noch ein weiterer Teilnehmer dazu. Und dann geht es schon wieder los, noch ein paar Einkäufe, vergeblich nach einer 1.5 l Cola gesucht. Mir wird gesagt, dass Winter ist und dann keine so grossen Colaflaschen verkauft werden, im ganzen Ort nicht. Das scheint zu stimmen und so begnüge ich mich mit einer 1 l Flasche. Der Rucksack wird diesmal nicht befüllt. Während der Cola-Suche fahren schon zwei Teilnehmer (ich glaube Ingo und Samuel) an mir vorbei, die ich etwas später auf der langen Teergerade einhole. Aber zu Dritt scheint das Tempo nicht zu stimmen und ich ziehe weiter, bis ich im Dunklen nach einer Tankstelle noch einen Gemüseladen sehe und ein paar Bananen kaufe. Hinter Taznakht ist nun eine lange Strecke auf der Hauptstrasse, das ist ideal für mich dort noch im Dunklen zu fahren, noch besser wäre natürlich gewesen auch schon das Stück vor Taznakht im Dunklen auf der Teerstrasse zu fahren, alles nicht so das Highlight. Aber man kann nicht alles haben. Ziel ist der noch 100 km entfernte CP2, mal schauen, ob ich es noch bis dahin schaffe. Im Kopf schätzt man ja immer so die Uhrzeiten, bis zu denen man da und dort ist. Zunächst einmal bis zum Abzweig vom Teer, das dauert noch mindestens 3 Stunden, sind ja knapp 60 km und dann noch einmal 50 km mehrheitlich Piste, wird also deutlich nach Mitternacht. Als ich einen kurzen WC-Stop mache zieht ein Teilnehmer an mir vorbei, es ist Ernie Lechuga. Obwohl er Amerikaner ist verstehe ich sein Englisch nur schlecht, aber er kann ja auch kein Denglisch. Er ist bekannt in Bikepacking-Kreisen, bzw. in den Berichten von Silkroad und Atlas Mountainrace kommt er öfters vor. Das liegt daran, dass er diese Rennen (teilweise mehrfach) mit seiner Frau Scottie als Pair bestritten hat. Ich erkundige mich nach ihr und bekomme mit, dass er anscheinend getrennt ist (concentration on Bikepacking-Race). Auch dieses Mal ist er als Pair unterwegs, sein Partner ist aber wohl sehr früh wegen Achillessehnenproblemen ausgestiegen. An der Steigung ziehe wiederum ich davon und sehe dann bis zum CP2 keine weiteren Teilnehmer. Der Anstieg ist nicht so gross und im Anschluss kommt eine gute Abfahrt. Die wesentlichste Abwechslung auf der Strasse ist der gelegentliche Verkehr, bei dem ich immer wieder das Licht heller schalte. Die nächsten Ortschaften kommen erst kurz vor dem Abzweig, aber zu der späten Stunde ist dort nichts mehr los. Es geht durch leere Gassen und irgendwann ist dann Piste, welche durch Landwirtschaftsland führt. Es hat auch immer mal wieder Häuser und dann wieder einen Teerabschnitt. Erst nach dem Teerabschnitt geht es ans Eingemachte, zum CP2 muss ja noch einmal ein Hügelzug überquert werden. Aber der Pass zieht sich ewig, die Piste geht relativ flach viele Kilometer und so bleiben auch nicht mehr viele Höhenmeter für den Schlussanstieg, bzw. es ist eine Serie von kleinen Anstiegen. Hier kann ich angenehmerweise wieder völlig ohne Licht fahren, der Vollmond ist hell. Die Abfahrt zum CP zieht sich dann ebenfalls wieder ewig, ich komme deutlich später an, als gedacht, immerhin waren die letzten Meter bekannt. Wir sind schon einmal bei einer Marokko-Radtour das Tal von Aguinane raufgefahren, allerdings dann nach Westen gebogen und nicht nach Norden, wo ich herkomme. Das war eine sehr schöne Tour und nach dem Aguinanetag hatten wir auch einen traumhaften Camping-Spot vor einem riesigen Kessel.



Der CP liegt etwas abseits der Route und beim Briefing wurde schon gewarnt, dass manche Fahrer den verpassen, es folgt eine ordentliche Abfahrt, die man dann wieder rauf muss. Orientierung ist aber kein Problem und zu so später Stunde trotzdem noch jemand auf, das Personal der Herberge und auch die Volunteers, welche die Karte abstempeln und mich in die Liste eintragen, steht immer noch eine zwei davor, bin also immer noch in den ersten 30, nicht schlecht. Auf der Karte steht eine Zeit von 2 Tagen und 8 Stunden 22 Minuten, d.h. ich bin ca. um 2:22 angekommen. Da mein Tracker aus ist, wird im System des Trackings erst die Zeit angezeigt, an der ich weiterfahre. Es gibt auch gerade Essen, was ich gerne annehme, Tajine zu stolzem Preis, aber was will man. Auch ist es möglich zu übernachten und zu duschen, was ich gerne annehme. Vom AMR-Team ist Bart da, den ich bei der Registrierung kennengelernt habe. Ich frage ob ich den Spot ausschalten kann. Das ist kein Problem, die Räder stehen im Haus und das Signal kommt somit sowieso nicht raus. Eine Teilnehmerin, identifiziere ich nachher als Luisa, ist neben dem Essen gerade am Sachen ausbreiten, der Schlafsack hat wohl teils Tau abbekommen. Sonst ist auch noch Lukas aus Polen da, scheint deutlich vor mir eingetroffen zu sein. Das Duschen war dann leider eher mühsam, der Teilnehmer, der neben mir duscht nutzt das in vollen Zügen aus, ich habe dann nur kühles Wasser übrig, so dass ein Haarewaschen ausbleibt. Und auch die Bettzuteilung klappt nicht. Vor dem Duschen bekomme ich ein Bett zugewiesen und lege meine Sachen rein. Nach dem Duschen liegt schon ein anderer Radfahrer drinnen. Zum Glück gibt es noch Platz in einem anderen Mehrbettzimmer, war im Nachhinein vielleicht eh das ruhigere. Wecker gestellt und ein bisschen Schlaf genommen.

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